Gelebte Vielfalt ist wertvoll
Der CSD Stuttgart hat alle Kandidat*innen zu Themen der LSBTTIQ-Community befragt. Hannes Rockenbauch hat geantwortet. Der Online-Frage-Antwortbogen behandelt die Themen Akzeptanz, Verwaltung, Bedarfe und Partnerstädte. Vielen Dank für die Möglichkeit, die einzelnen Punkte so ausführlich zu erläutern.
Hier die Fragen an und Antworten von Hannes Rockenbauch im Einzelnen:
AKZEPTANZ
Mit dem Aktionsplan des Landes Baden-Württemberg ist die Sichtbarkeit von Vielfalt für die Stuttgarter Stadtgesellschaft zu einem wichtigen Thema geworden. Mit dem CSD Stuttgart, dem Trans* Pride Stuttgart, dem Transgender Day of Remembrance und den vielen weiteren Veranstaltungen der LSBTTIQ Community zeigen queere Menschen seit Jahren Flagge für ein offenes, freies und vielfältiges Stuttgart und fordern gleiche Rechte ein.
Könnten Sie sich vorstellen, die LSBTTIQ-Community bei Ihren Aktionen zu unterstützen?
Ich möchte ein Oberbürgermeister für alle Menschen sein und Stuttgart zu einer lebenswerten Stadt für alle Bewohner*innen machen. Mein Ziel ist es, gemeinsam mit den Bürger*innen die Stadt zu gestalten. Durch einen Austausch auf Augenhöhe sollen sich alle einbringen können. Das betrifft auch jene, die nicht der Mehrheitsgesellschaft angehören und aufgrund struktureller Diskriminierung oft nicht gehört werden: Alleinerziehende, Einkommens-schwache, Ältere oder Zugewanderte aber natürlich auch die LSBTTIQ* Community. Ich freue mich, dass sich Initiativen aus der Community zusammen mit anderen gegen den Rechtsruck in der Stadtgesellschaft stellen, wie z.B. bei den Demonstrationen für Vielfalt. Das zeigt auch, wie wertvoll gelebte Vielfalt ist! Zusammen mit euch möchte ich mich mit euch dafür einsetzen, dass wir alle diskriminierungsfrei leben können. Gerne unterstütze ich die Community bei ihren Aktionen!
Unterstützen Sie das bisherige Hissen der Regenbogenflagge/Trans*-Flagge zu den entsprechenden Veranstaltungen am Rathaus?
Das Hissen der Regenbogen- und Trans*-Flagge ist ein wichtiges Statement. Es ehrt den Kampf vieler Einzelpersonen und Initiativen gegen Verfolgung, Diskriminierung und Leid. In vielen staatlichen Institutionen wurde diese Verfolgung organisiert.
Umso wichtiger ist es, heute die Gruppen, die Opfer dieser Ausgrenzung waren, ins Rathaus einzuladen und dies auch nach außen zu tragen. Das Hissen der Flaggen der Community ist nicht nur eine Einladung, sondern auch ein Zeichen in die gesamte Stadtgesellschaft: LSBTTIQ* sind in Stuttgart willkommen und wir freuen uns das ihr da seid!
Der Internationale Tag gegen Homo-, Bi- und Transfeindlichkeit sowie der Transgender Day of Remembrance sind wichtige Gedenktage der queeren Community. Sollte sich die Landeshauptstadt an diesen beteiligen und wenn ja, wie könnten Sie sich eine solche Beteiligung vorstellen?
Der IDAHOBIT und der TDoR sind wichtige Gedenk- und Aktionstage der Community und wichtig für die ganze Stadtgesellschaft. Sie verdienen nicht nur finanzielle Unterstützung zur Umsetzung. Ich will gemeinsam mit der Community an diesen Tagen ein Zeichen setzen. Dies ist aber natürlich abhängig von den Formaten und Aktionsformen, die aus der Community heraus geplant werden. Hier gilt es nicht über Menschen zu sprechen, sondern mit Ihnen – mit Euch!
Gerne folge ich im Rahmen meiner Möglichkeiten Einladungen zu Veranstaltungen und kann mir auch vorstellen, gemeinsam mit der Community und der Abteilung Außenbeziehung zu schauen, welche Impulse man auch bei international relevanten Terminen zusammen mit den Partnerstädten der Stadt Stuttgart setzen kann.
VERWALTUNG
Um Diskriminierung zu verringern ist es notwendig, die Mitarbeitenden der Stadtverwaltung, städtischen Behörden und städtischen Betrieben weiterhin und dauerhaft für die Vielfalt von Menschen zu sensibilisieren.
Planen Sie Impulse zu setzen, um die städtischen Einrichtungen insbesondere der Pflege, der Gesundheitsversorgung und der (früh-)kindlichen Bildung zum Thema Vielfalt von Geschlecht und sexueller Orientierung zu sensibilisieren?
Das ist ein komplexes Thema bei dem die Entscheidungen oft auf Landes- oder Bundesebene getroffen werden. In jedem Fall setze ich mich dafür ein, dass die städtischen Kindertagesstätten Kindern die Möglichkeit geben, sich frei zu entfalten und nicht in Rollenbilder eines bestimmten Geschlechtes hineingepresst werden.
Auch in der Alten- und Krankenpflege haben wir große Herausforderungen, die nur zum Teil kommunal bewältigt werden können. Teile der Community haben besondere Bedarfe, z.B. Medikamente für HIV-Positive oder Hormone für Trans*-Personen. Hinzu kommen Vorurteile und Stigmata und Vorurteile, sowie ggf. Vorbehalte bei Körperpflege von z.B. Trans* oder Inter-Personen.
Die Entscheidungen der Rahmenbedingungen der Ausbildungsinhalte von Pflegekräften und Erzieher*innen fallen auf Bundes- und Landesebene. Hierzu könnten Kontakte mit Entscheider*innen in den Ministerien aufgenommen werden.
Für die Mitarbeiter*innen in den Einrichtungen der Stadt bieten könnten spezielle Schulungen sinnvoll sein. Ebenso könnte es sinnvoll sein, Kitas und Pflegeeinrichtungen finanziell so auszustatten, dass sie diese Aufgaben übernehmen können und in Kitas Bücher angeschafft werden, die eine geschlechtsneutrale Erziehung ermöglichen.
Vorstellen kann ich mir auch einen Dialog mit Vertreter*innen der Community zur Einrichtung von einem Pilotprojekt für Betreutes Wohnen im Alter von LSBTTIQ mit z.B. dem Anschluss eines Community-Mehrgenerationenhauses.
Auch möchte ich, dass die Förderung von Einrichtungen in privater oder kirchlicher Trägerschaft mir Geldern der Stadt Stuttgart an Kriterien gebunden wird, die sicherstellen, dass auch in diesen Einrichtungen die zu Pflegenden und die Kinder sich frei entwickeln können und nicht mit Vorurteilen konfrontiert werden.
30 Städte aus 14 Ländern haben sich zum Schutz und zur Unterstützung ihrer LSBTTIQ Community zum Rainbow City Network zusammengeschlossen. Denken Sie, dass Stuttgart ebenfalls beitreten sollte?
Gerne setze ich mich dafür ein, dass Stuttgart dem Rainbow City Netzwerk beitritt. Reine Symbolpolitik reicht hier jedoch nicht aus. Wir müssen darüber reden, ob auch eine entsprechende Koordinierungsstelle sinnvoll ist, die die Mitarbeit im Netzwerk übernimmt und in die Stadtverwaltung hineinträgt. Ob dazu die Abteilung für Chancengleichheit und Diversity personell aufgestockt werden sollte, muss geklärt werden.
Unterstützen Sie den Ansatz, das Thema LSBTTIQ als Querschnittsthema in allen Politik- und Verwaltungsbereichen zu implementieren?
Ein klares ja! LSBTTIQ* gibt es in allen gesellschaftlichen Schichten du Milieus und das muss berücksichtigt werden. Ob zugewandert, geflüchtet oder alt eingesessene Häuslebauer*innen, ob geringverdienend oder jung oder alt, ob als Regenbogenfamilie oder Singlehaushalt, ob mit Behinderung oder ohne.
Diese Vielfalt muss sich auch in der Politik wiederfinden, z.B. in der Besetzung von wichtigen Ausschüssen wie dem Kulturausschuss oder dem Internationalen Ausschuss, aber auch in den Beteiligungsformaten wie z.B. Wohnprojekten.
Auch den Arbeitskreis LSBTTIQ will ich weiter unterstützen. Er ist eine kluge und sinnvolle Schnittstelle zwischen den Organisationen der Community wie der Weißenburg, der Aidshilfe, dem CSD Stuttgart und vielen anderen Organisationen mit der Stadtverwaltung. Nur so schaffen wir es allen eine Stimme, Respekt und Sichtbarkeit zu verschaffen. Eine lebenswerte Stadt für alle ist möglich und ich will wahre Vielfalt leben.
BEDARFE
Die vielfältige LSBTTIQ Community Stuttgarts benötigt Räume und Ressourcen, um den wachsenden Bedarfen gerecht werden zu können.
Derzeit wird eine Machbarkeitsstudie für ein Regenbogenhaus durchgeführt. Würden Sie gegebenenfalls ein sichtbares und für alle offenes Kommunikationszentrum der LSBTTIQ Community unterstützen?
Ich begrüße den Beschluss zur Machtbarkeitsstudie sehr und freue mich darauf, die Ideen zu diskutieren. Ähnlich wie bei dem Haus der Kulturen gilt es hier einen Ausgleich zu schaffen zwischen Rückzugsort und Schutzraum, als auch Schnittstelle und Bildungszentrum für den Rest der Stadtgesellschaft. Ich freue mich auf den weiteren Prozess und werde die Entwick-lung des Regenbogenhauses nach Kräften unterstützen.
Queere Jugendliche benötigen besondere Schutzräume und Beratung. Befürworten Sie die Einrichtung queerer Jugendräume?
Zunächst freue ich mich über bereits bestehende Angebote wie die Königskinder oder auch die selbstorganisierten jungen Menschen bei den Queerdenkern, die der Stadtgesellschaft so wichtige Impulse geben und Rückzugsräume frei von Vorurteilen bieten.
Darüber hinaus ist zu überlegen, kann ich mir ein Pilotprojekt angedockt an die Stuttgarter Jugendhausgesellschaft sehr gut vorstellen. Im Austausch mit der Community kann ich mir vorstellen hier weitere Rückzugs- und Schutzräume für junge Menschen zu schaffen, in denen diese sich frei von Diskriminierung frei entfalten können, Freund*innen finden und Spaß haben. Hier will ich aber nicht allein entscheiden, sondern mit der Community und insbesondere deren jüngere Menschen in den Austausch gehen. So will ich sicherstellen, dass die Ange-bote auch den Wünschen entsprechen. Wäre ein zentraler Anlaufpunkt besser oder vielleicht niedrigschwellige Angebote in allen Stadtbezirken?
Die Regenbogen.Bildung.Stuttgart ist ein Schulaufklärungsprojekt, das Antidiskriminierungsarbeit für Schulklassen und Jugendgruppen nach dem Peer-2-Peer Konzept durchführt. Sie hat sich sehr gut etabliert und wird stark nachgefragt. Bisher ist die Regenbogen.Bildung projektfinanziert und wird nach Ende des Projektes eingestellt werden müssen. Würden Sie eine dauerhafte Etablierung der Regenbogen.Bildung unterstützen?
Die wertvolle Arbeit die in dem Schulaufklärungsprojekt geleistet wird unterstütze ich gern! Wo an so wichtiger Stelle mittlerweile tragfähige Strukturen und Knowhow entstanden sind, muss die Förderung ausgewertet/evaluiert und verstetigt und ggf. nach Bedarf ausgebaut werden.
Im letzten Haushaltsplan hat die Landeshauptstadt Stuttgart die Regenbogen-Community spürbar unterstützt. Corona stellt die Finanzplanung der Landeshauptstadt nun vor besondere Herausforderungen. Würden Sie sich dafür stark machen, dass die LSBTTIQ Community ihre wertvolle Arbeit für die Stadtgesellschaft nachhaltig weiterführen kann?
Auch hier gilt es das wertvolle Strukturen und Expertise erhalten werden muss. Die gesammelten Forderungen der LSBTTIQ* Community bei den Verhandlungen hat meine Fraktion im Gemeinderat als einzige von Anfang an vollumfänglich unterstützt. Diese Unterstützung sichere ich auch weiterhin zu.
Dies gilt auch für Abfederungen der Folgen die Covid-19-Pandemie hat. Es ist bewundernswert wie die Community mit den Herausforderungen umging, so dass z.B. der CSD zahlreiche Onlineevents aus einem eigens eingerichteten Fernsehstudio streamte.
Oder das Projekt 100% Mensch die Gespräche zu zahlreichen Themen rund um sexuelle Orientierung und geschlechtlicher Identität digital in die Stadtgesellschaft und darüber hinaustrug. Das konnte jedoch nicht ausfallende Spenden und Einnahmen aus Veranstaltungen verhindern.
Auch die Aidshilfe steht wegen sinkender Spenden unter Druck und der Weißenburg brechen Mieteinahmen weg. Hier muss die Stadt helfen und die gefährdete Insolvenz dieser Strukturen abwenden. Nur so sichern wir auch die wertvolle Arbeit für die Zukunft.
PARTNERSTÄDTE
Die Lage für queere Menschen in Polen wird immer schwieriger. Mittlerweile hat sich fast ein Drittel des polnischen Staatsgebietes zu sogenannten „LSBT-freien Zonen“ erklärt. Stuttgarts Partnerstadt Łódź ist diesen Schritt glücklicherweise bisher nicht gegangen.
Welche Möglichkeiten sehen Sie, queere Menschen in unseren Partnerstädten zu unterstützen und einen besonderen Fokus auf diese Gruppe in der Partnerschaft zu setzen?
Die Stadt Stuttgart und insbesondere der Oberbürgermeister haben hier auf unterschiedlichen Ebenen die Möglichkeit tätig zu werden und Unterstützung zu leisten.
Zunächst gilt dies für die Positionierung gegenüber den jeweiligen Vertreter*innen der anderen Städte. Auf Arbeitsebene können Menschenrechtsverletzungen angesprochen werden. Ich will mich hier klar gegen jedwede Diskriminierung auch in den Partnerstädten stellen.
Auch werde ich mich bei offiziellen Delegations- und Besuchsreisen z.B. in Kairo oder Lodz entsprechend öffentlich äußern, wenn es Verfolgten und ausgegrenzten Personen Kraft und Hoffnung geben kann. Hier ist jedoch mit Bedacht vorzugehen, während internationale Aufmerksamkeit einen gewissen Schutz bieten kann, kann dies auch zu einer verstärkten Ausgrenzung aus der Gesellschaft führen – z.B. durch das Branding als ausländische Agenten.
Einen Fokus würde ich in jedem Fall darauflegen, den Austausch zwischen den Stadtgesellschaften und Initiativen zu ermöglichen. Im Stab des Oberbürgermeisters ist die Abteilung Außenbeziehungen angesiedelt, die ich in die Lage versetzen möchte, die Netzwerke und den zivilgesellschaftlichen Austausch weiter zu stärken. Ganz konkret:
Es könnten Gelder für gegenseitige Besuche bei den CSD organisiert, es könnten Konferenzen veranstaltet und der Austausch von Jugendorganisationen oder auch Sportlern z.B. vom Abseitz ermöglicht werden. Durch diese persönlichen Netzwerke entstehen nicht nur Freundschaften und Ideen, sondern konkrete Unterstützungsnetzwerke.
Schließlich möchte ich auch Organisationen, die nicht aus der LSBTTIQ Community kommen, bewegen ihren jeweiligen Counterpart in der jeweiligen Partnerstadt für die Belange von LSBTTIQ* zu sensibilisieren oder sich zu mindestens klar gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zu stellen. Ich würde mich freuen, wenn sich eine Vielzahl von Vereinen und Initiativen anschließt. Auch die Kirchen und Religionsverbände möchte ich hierfür gewinnen und bitten sich öffentlich zu äußern.
Könnten Sie sich vorstellen eine aktive Rolle im CEMR bezüglich der Menschenrechtslage queerer Personen in Polen, Ungarn, Rumänien und anderen Staaten einzunehmen?
Das Netzwerk der europäischen Städte und Regionen ist sicherlich eine wichtige Ressource um international Impulse zu setzen. Allein in Deutschland sind über 13.000 Städte und Gemeinden Mitglieder. Ich will hier im Verbund mit anderen größeren deutschen und europäischen Städten wie z.B. Köln, die bereits Vorstöße unternommen haben, versuchen, Ressourcen zu bündeln und eine gemeinsame Agenda zu erarbeiten und dafür werben. Hierfür müssten jedoch auch Stellen geschaffen werden, die sich der Arbeit für Menschenrechte in diesem Netzwerk widmen können. Das will ich gerne tun.
Wie stehen Sie zum Spannungsfeld Städtepartnerschaft und LSBTTIQ-freie Zonen in Polen?
LSBT-freie Zonen sind in jedem Fall abzulehnen. Die Stadt Stuttgart hat die Möglichkeit sich hier klar zu positionieren und Einfluss über die Städtepartnerschaft auszuüben. Wie in den vorangegangenen Punkten beschrieben, hat die Stadt hier eine ganze Bandbreite an Instrumenten und Möglichkeiten zur Verfügung.
Ist die Städtepartnerschaft mit Łódź in Ihren Augen gefährdet?
Im Gegenteil: Gerade wenn in einer Partnerstadt gefährliche und menschenfeindliche Strukturen und Tendenzen aufkommen oder gar staatliche oder nichtstaatliche Verfolgung von LSBTTIQ* oder anderen Minderheiten vorkommen, muss die Stadt Stuttgart ihre Kanäle und Möglichkeiten nutzen um dem entgegenzuwirken. Eine Kündigung der Städtepartnerschaft würde bedeuten, die Menschen vor Ort im Stich zu lassen und jedweden Handlungsspielraum aufzugeben.
Beim diesjährigen CSD am Römerkastell sprach Hannes Rockenbauch mit Christoph Michl unter anderem über ein mögliches Regenbogen-Haus für die Community.