Rockenbauch im Interview mit Trott-war
Es ist nicht mehr lange hin bis zur mit Spannung erwarteten Wahl des neuen Stuttgarter Stadtoberhauptes. Passend zum Beginn der heißen Phase des Wahlkampfes haben wir mit Kandidaten für den höchsten Posten der Stadt gesprochen. Neben den Dauerbrennern wie der Wohnraumproblematik und der Lebensqualität wollten wir auch wissen, wie die Anwärter gedenken, den sozial benachteiligten Menschen zu helfen. Folgend finden Sie exklusiv die Antworten von Hannes Rockenbauch.
Warum wollen Sie Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Stuttgart werden?
Als vor 30 Jahren ein Jugendlicher aus der Nachbarschaft mit Rollschuhen tödlich verunglückte, wurde ich politisch aktiv. Seitdem frage ich mich: Warum ist Stuttgart nicht wie ein einziger Spielplatz? Mit frischer Luft zum Atmen und weniger Geldsorgen der Eltern?
Mein Kindertraum, eine Stadt, in der kein Kind mehr durch unsere Stadt- und Verkehrsplanung ums Leben kommt oder krank wird, ist immer noch der gleiche Traum geblieben. Meine beiden kleinen Töchter erinnern mich jeden Tag daran, wie wichtig lebenswerte Städte, bezahlbare Wohnungen und Klimagerechtigkeit für uns alle sind.
Stuttgart braucht an der Stadtspitze mehr Mut für die Verkehrswende, mehr Entschiedenheit, um unser Wohnungsproblem in den Griff zu bekommen und bessere Konzepte, um uns auf den Klimawandel vorzubereiten und Klimagerechtigkeit umzusetzen. Als Architekt und Stadtplaner brenne ich darauf, Stuttgart gemeinsam mit Ihnen zu einer sozial- und klimagerechten Modellstadt zu machen.
Gesetzt den Fall, Sie werden gewählt: Wie gedenken Sie die Wohnungsnot in Stuttgart zu bekämpfen? Auch Notunterkünfte fehlen.
In Stuttgart fehlen preiswerte Wohnungen. Die Mieten explodieren. Normal- und Geringverdienende werden aus der Stadt verdrängt.
Als Oberbürgermeister werde ich mich dafür einsetzen, dass die Stadt wieder Grundstücke kauft und selbst bezahlbare Wohnungen baut. Bestehende Wohnungen und Grundstücke im Besitz der Stadt, der SSB und der SWSG sollen grundsätzlich erhalten oder behalten werden.
Die viel zu hohe Zahl der Menschen, die bereits in einem Sozial„hotel“ leben müssen oder für eine Sozialwohnung vorgemerkt sind, kann nur durch einen Richtungswechsel hin zur sozialen, solidarischen Stadt gelingen. Das schließt für mich das „Housing First“-Prinzip für Obdachlose mit ein.
Mehrgenerationenhäuser ermöglichen Arbeiten, Wohnen und Spielen in generationsübergreifender Gemeinschaft. Als Oberbürgermeister werde ich den Ausbau zukunftsweisender Wohnkonzepte in städtischer Hand fördern.
Werden Sie die bestehenden Maßnahmen gegen Wohnungsleerstand verschärfen?
Mein Ziel ist es, den unbegründeten Leerstand und die Zweckentfremdung von Wohnraum durch flächendeckende Kontrollen in Stuttgart zu beenden. Das Zweckentfremdungsverbot, das regelt, dass eine Wohnung nicht länger als 6 Monate leerstehen darf gilt seit Januar 2016. Doch die bekannten Fälle werden nicht konsequent nachverfolgt. Von zwei vorgesehenen Sachbearbeitungsstellen ist nur eine besetzt, es werden kaum Bußgelder verhängt. Das muss sich ändern, denn es geht um jede einzelne Wohnung.
Viele Menschen in Stuttgart klagen über Verkehrslärm und Luftbelastung – zu viel Straßenverkehr, zu viele Baustellen, zu wenig Parkmöglichkeiten, schlechte Luftqualität und so weiter. Was möchten Sie unternehmen, um die Lebensqualität zu verbessern?
Als gelernter Stadtplaner möchte ich ein lebenswertes Stuttgart gestalten, in dem Menschen gerne zu Fuß gehen, mit dem Rad einkaufen, sowie mit Bus, U-Bahn und S-Bahn zur Arbeit fahren. Neben einer weitgehend autofreien Innenstadt setze ich mich für zusätzliche verkehrsberuhigte Zonen in allen Stuttgarter Stadtteilen ein, für sichere Rad- und Fußwege, Grünbereiche, Bäume und Spielplätze.
Als Oberbürgermeister werde ich mich für einen gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr zum Nulltarif einsetzen, damit möglichst niemand mehr auf ein eigenes Auto angewiesen ist.
Einen weiteren Ausbau des Flughafens lehne ich ab. Ich unterstütze den Umstieg 21 für einen leistungsfähigen, sicheren und attraktiven Kopfbahnhof sowie den Ausbau der Gäubahn vom Hauptbahnhof Stuttgart bis nach Italien.
Als Oberbürgermeister werde ich mich dafür einsetzen, dass die für Stuttgart 21 gebauten Tunnel für ein Citylogistik-System (um-)genutzt werden, das den Warenverkehr zwischen Vororten und Innenstadt – die „vorletzte Meile“ – klimaverträglich bewältigt und so die Straßen von einem Großteil des Lieferverkehrs entlastet.
Randale in Stuttgart in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni: Wie sind solche Ausschreitungen künftig zu verhindern?
Schon an den Wochenenden zuvor flackerten gelegentliche Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und Polizei auf, doch in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni 2020 schlug die Stimmung plötzlich in exzessive Gewalt und Sachbeschädigung um. Diese Gewalt ist völlig inakzeptabel ist und zu verurteilen.
Nicht nur die Polizei beklagt eine zunehmende Anzahl an schwierigen Einsätzen, auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Krankenhäusern, Rettungswagen und vielen anderen öffentlichen Institutionen sehen sich immer häufiger Pöbeleien und Gewaltandrohungen ausgesetzt. Wir gehen davon aus, dass dieser Tendenz kaum über repressive Polizeimaßnahmen und verstärkte Videoüberwachung erfolgreich begegnet werden kann, sondern vor allem der Dialog zwischen Beteiligten verbessert werden muss.
Jetzt muss es darum gehen, die Ursachen und Motive genau zu erfragen und Lösungen zu erarbeiten, bei denen alle Beteiligten eingebunden werden. Nicht nur Gemeinderat, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Ordnungskräfte und Polizei sollten an Lösungsansätzen arbeiten, sondern auch die Expertise von Vertreterinnen und Vertretern von Jugendhäusern, Mobiler Jugendarbeit, vom Release e.V., von der Antidiskriminierungsstelle, dem Projekt Partnerschaft für Demokratie und dem Forum der Kulturen sind hier gefragt.
Mein Ziel ist eine Polizei, die jederzeit die individuellen Freiheiten und Rechte aller Menschen aus den über 170 Nationen, die in Stuttgart leben, in der gleichen Weise schützt. Dazu ist es notwendig, den strukturellen Rassismus innerhalb der Polizei zu untersuchen und aufzuarbeiten.
Wie soll die Stadt sozialpolitisch aufgestellt werden, um sozialen Frieden zu wahren und die Situation von Randgruppen – Migranten, arme, behinderte, suchterkrankte und obdachlose sowie sozial benachteiligte Menschen – zu verbessern und erträglicher zu machen?
Auch in unserer wohlhabenden Stadt leben viele Kinder und Jugendliche, Ein-Eltern-Familien sowie Rentnerinnen und Rentner in Armut.
Für mich steht fest: Zusammenhalt und Gemeinschaft wird es auf Dauer in Stuttgart nur geben, wenn wir allen Menschen – unabhängig von ihrem Alter, ihrer Herkunft oder ihrem Geldbeutel – Teilhabe am guten Leben garantieren. Alle Menschen, die in Stuttgart leben, sind Stuttgarterinnen und Stuttgarter. Es geht erst allen gut, wenn keiner mehr leidet.
Bezahlbare Mieten, kostenlose Kita, ÖPNV zum Nulltarif und eine bestmögliche Gesundheitsvorsorge und Pflege sind nur einige Forderungen, für die ich mich seit Jahren einsetze.
Menschen aller Altersstufen brauchen für ein lebendiges Miteinander Quartiere mit wohnortnahen Einkaufs-, Beschäftigungs-, Freizeit- und Betreuungsmöglichkeiten, Treffpunkte und Dienstleistungen mit barrierefreien Wegen und Zugängen. Die Rahmenbedingungen für Familien möchte ich als Oberbürgermeister verbessern. Dazu gehören eine gut ausgebaute und kostenfreie qualitativ hochwertige Kinderbetreuung. Ein kostenloses und gesundes Mittagessen in unseren Kitas und Schulen sind für mich selbstverständlich.
Geschützte Räume und öffentliche Treffpunkte für Kinder und Jugendliche müssen erhalten und ausgebaut werden. Beispielhaft nenne ich hier das Spielhaus im Unteren Schlossgarten und das Jugendhaus West. Auch unsere Kitas, Horte und Schulen sollen mehr sein als Orte der reinen Wissensvermittlung und Betreuung. Sie sollen das Lernen mit allen Sinnen, die Förderung der motorischen, emotionalen und sozialen Fähigkeiten ermöglichen.
Als ehemaliger Rettungsschwimmer will ich erreichen, dass Schwimmunterricht für alle Kinder und Jugendlichen als flächendeckendes Angebot in den städtischen Hallen- und Freibädern angeboten wird.
Als Oberbürgermeister werde ich mich dafür einsetzen, dass während meiner Amtszeit mindestens 1.000 neue Bänke im öffentlichen Raum aufgestellt werden, um einen Aufenthalt ohne Konsumzwang zu ermöglichen.
Trott-war e.V. erspart der Landeshauptstadt Stuttgart jährlich nachweislich mindestens 500.000 Euro Sozialkosten, hat aber selbst in Notzeiten wie der Corona-Pandemie keinerlei finanzielle Hilfe erhalten. Könnten Sie sich für eine dauerhafte Unterstützung der Einrichtungen, die die Kommune finanziell entlasten, erwärmen, um zu verhindern, dass solche sinnvollen Institutionen künftig insolvent werden könnten und eingestellt werden müssten?
Für mich leistet Trott-war e. V. mit seinen Projekten seit mehr als einem Vierteljahrhundert vorbildliche Arbeit für und mit sozial Benachteiligten. Besonders gut gefällt mir der Grundsatz von Trott-war: die Beteiligung der Betroffenen. Wer sich so kontinuierlich für unsere Stadt einsetzt, verdient mehr als einen warmen Händedruck. Er verdient eine dauerhafte Förderung, die das Fortbestehen der Einrichtung absichert.