Mit den Rollschuhen fing alles an
Heute werde ich oft gefragt, warum ich mich ausgerechnet in der Kommunalpolitik einbringe. Ich antworte dann immer: „Schuld daran sind nur die Rollschuhe“. Kinder lernen das im Spiel. Nur wenn ein Kind im Spiel ernst genommen wird, wird es sich zu einem verantwortungsbewussten Erwachsenen entwickeln. Und so erzähle ich von meinen vergangenen Spielen, um die Entwicklung meiner politischen Haltung zu beschreiben. Die Stadt war unser Spielplatz. Dieser Spielplatz war leider nicht für Kinder gemacht. Das musste ich schmerzhaft lernen. Schon als Kind bekam ich so ein allgemeines Gefühl, dass in unserer Welt nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Aber meine Eltern waren es, die mir die Angst nahmen. Sie sprachen mit mir über die Welt und die Probleme. Sie gaben mir die Zuversicht, dass nichts von all dem Leid, das ich sah, so auf ewig sein müsse. Wir können es ändern. Und immer wieder trichterten sie mir ein, dass es in diesem ganzen Chaos vor allem auch auf das ganz persönliche, eigene Verhalten ankommt. Selber Stellung beziehen, selber eingreifen, das wurde mir schon sehr früh immer wieder nahegelegt. Aber so richtig begriffen habe ich das erst später.
Der erste Schritt zur Erkenntnis kam erst durch die Rollschuhe. Sie haben mir gezeigt, dass es immer um den eigenen Hintern geht, und wie ich ihn hochkriege. Ja, die Rollschuhe. Ich war etwa 10 Jahre alt. Ich war eigentlich nie so richtig der Superrollschuhfahrer. Direkt vor unserem Haus hatte die Straße ein Gefälle, das geradezu danach schrie, mit Rollschuhen unsicher gemacht zu werden. Die Straße war aber leider das Territorium der größeren Kids. Vor denen musste ich einfach Angst haben, denn sie selbst hatten vor nichts Angst. Dann kam jener denkwürdige Tag, als das Unglück passierte. Die Großen riskierten viel auf der abschüssigen Straße. Die Gefahr war kein Thema. Einer dieser Furchtlosen fuhr mit seinen Rollschuhen direkt in den Tod. Der Autofahrer an der nächsten Querstraße konnte nicht mehr bremsen. Die gesamte Nachbarschaft war schockiert. In unserem Viertel gab es einen guten Zusammenhalt. Heute würde ich das Bürger*inneninitiative nennen. Im Sommer wurden immer tolle Feste organisiert. Da gehörte die Straße einmal im Jahr voll und ganz uns Kindern. Es war ein Spaß, die Stör-Autos, die uns trotz offizieller Anordnung beim Spielen hinderten, mit Klopapier einzuwickeln. Das machte nicht allen Nachbarn so viel Spaß wie uns. Aber das waren ja eh immer die Gleichen. Die regten sich auch über unsere bunten Kreidebilder auf dem grauen Asphalt auf. Dank der gesunden Nachbarschaft hat es aber nicht lange gedauert, bis wir auch die Kraft der Gemeinschaft entdeckt hatten.
Wir nahmen den Tod von „Fuzzi“ zum Anlass, schlossen uns mit den Großen zusammen und zogen auf unseren Rollschuhen vor das Stuttgarter Rathaus. Ich mit zittrigen Knien, weil ich eigentlich nach diesem Ereignis gar nicht mehr mit meinen Rollschuhen fahren wollte. Das war meine erste Demonstration, ohne meine Eltern. In unserem Viertel forderten wir mehr Sicherheit für uns Kinder. Das hat mich überzeugt. Das Thema beschäftigte viele Menschen in unserer Straße. Nachbarn rückten zusammen und trafen sich nun, um Pläne zu schmieden. Plötzlich wuchs hier eine Gemeinschaft, die sich für ein menschengerechteres Wohnviertel einsetzte.
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